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  • von R. Martensen
  • 14 Sept., 2018

Aufstehen - längst fällig und allemal besser als anzünden

Im Jahr 2010 erschien in Frankreich das Pamphlet "Indignez-vous ! " ("Empört Euch!") aus der Feder von Stéphane Hessel. Ein wütender Aufruf zum Kampf gegen Kapitalismus und die allgemeine politische Entwicklung  im Rahmen der Finanzkrise. Das Schlimmste, was man sich und der Welt antun könne, sei die Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Verhältnissen. 

Etwa zur selben Zeit veröffentlichte Thilo Sarrazin in Deutschland das braune Manifest "Deutschland schafft sich ab". Sarrazin kooperierte im Vorfeld der Veröffentlichung unter anderem mit der Bild-Zeitung, die aus dem Buch folgende Thesen veröffentlichte:

  1. Deutschland werde aufgrund des Geburtenrückganges „kleiner und dümmer“, während die „sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration […] politisch korrekt“ totgeschwiegen würden.
  2. Muslimische Migranten seien unterdurchschnittlich in den Arbeitsmarkt integriert und überdurchschnittlich abhängig von Sozialtransfers. Sie kümmerten sich nicht hinreichend um Bildungsbeteiligung, hätten eine hohe Geburtenrate und zeigten eine Tendenz zur Bildung von Parallelgesellschaften. Von Integrationsbeauftragten und Islamforschern, Soziologen und Politologen sowie von naiven Politikern würden diese Probleme totgeschwiegen.
  3. Sarrazin kritisiert „niedrige Bildungsstandards“ und tritt deswegen für eine Ganztagsschule und die Wiedereinführung der Schuluniform ein und spricht Computerspielen (Negativbeispiel World of Warcraft) jegliche Pädagogik ab.
  4. Die „islamische Immigration“ sei geprägt durch „fordernde, den Sozialstaat in Anspruch nehmende, kriminelle, andersartige, frauenfeindliche Einstellungen […] mit fließenden Übergängen zum Terrorismus“.

Wie gerne wäre ich unter solchen Vorzeichen Franzose! Heute ist Sarrazins Hetze stimmenstark in die Deutschen Parlamente eingezogen und macht auf den Straßen Jagd auf dunkelhäutige Menschen. Frankreich hingegen hat einen hoch angesehenen Staatspräsidenten aus dem links-intellektuellen Lager, Emmanuel Macron.

La République en Marche!

 "Marschieren!" hat in Deutschland einen so faden Beigeschmack, dass der Name nicht für diese Art Sammlungsbewegung taugt. Aber empören sollte man sich doch! - "Aufstehen!" ist kein schlechter Name und kein falscher Gedanke. Ob der Appell von der falschen Frau ins Leben und in das Land gerufen wird, beleuchte ich im nächsten Beitrag.

 Mein ständiges Gefühl "man müsste einmal...!" und mein Misstrauen gegen die Medienlandschaft veranlassen mich zum Start dieser 1-Mann-website. Vielleicht verirrt sich niemals auch nur ein einziger Leser hier her. Aber er oder sie hätte es gekonnt. Also - theoretisch. Lasst mich hinten links in einer Seitenstraße des Internets meine Schildchen hochhalten mit meinem persönlichen politischen Protest. Wenn jemand hier ist und es ihm gefällt, lasst es mich via Kommentarfunktion ruhig wissen. Und vor allem: lasst es andere wissen!

von R. Martensen 25. September 2018
Vorgeschichte:
Am 26. August 2018 hat es in Chemnitz eine relativ spontane, am Folgetag eine größere Demonstration gegen die Berliner Migrationspolitik und subjektive Überfremdung im Land gegeben.
Anlass war ein Tötungsdelikt am Wochenende am Rande des Stadtfestes nach einer Auseinandersetzung zwischen einem 35-jährigen Deutsch-Kubaner und dem mutmaßlichen Täter Yousif A.  und ihren jeweiligen  Begleitern.
Im Verlauf der Demonstrationen  ist es zu fremdenfeindlichen Übergriffen in der Stadt gekommen.
In den folgenden Tagen gab es die erwartbaren Reaktionen und einige unerwartete Details. Die Bundesregierung etwa ließ verkünden, derartige Meinungsäußerung habe auf Deutschlands Straßen keinen Platz. Wir erfuhren, dass ein Justizvollzugsbeamter es für seine Pflicht hielt, der Öffentlichkeit ein Foto des Haftbefehls gegen Yousif A. zuzuspielen.
Und der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen äußerte, er habe Zweifel an der Echtheit des angeblichen "Hetzjagd-Videos". Auch einen Hitler-Gruß konnte er nicht sicher als solchen identifizieren. Der Mann ist auf dem rechten Auge blind.

Il Presidente - eignet sich nicht, wird deshalb befördert
Die meisten Menschen, die in diesem Land leben, zeigen gewaltbereiten, extremistischen Demonstranten - rechten wie linken - wahlweise den Vogel oder den Mittelfinger; den erhobenen Zeigefinger vielleicht, wenn sie ein politisches Amt bekleiden oder bekleiden möchten.
Dass hingegen ein Verfassungsschutzpräsident sich verharmlosend vor die Chaoten stellt, ist dann doch ein befremdliches Format. Zudem wurde derselbe Präsident bereits von einem ehemaligen AfD-Mitglied wegen unangemessen guter Beziehungen zur AfD öffentlich angegriffen. Der Verfassungsschutz ist aber ein staatstragendes Exekutiv-Organ und sein Präsident muss in besonderer Weise parteilich und gesellschaftspolitisch neutral sein, weil sein Bundesamt verantwortlich ist, staatsfeindliche Parteien und Bewegungen zu identifizieren. Hans-Georg Maaßen hat in verantwortlicher Position seine Dienstpflichten schwer verletzt und das gehörte bestraft.
Bis hier bestand erstaunlich schnell Einigkeit.

Nach einem Krisengipfel der Parteivorsitzenden Merkel, Nahles und Seehofer wurde verkündet, der bisherige Verfassungsschutz-Präsident Maaßen müsse diese Posten verlassen (hurra!) und werde statt dessen Staatssekretär im Ministerium des Inneren (wtf?!)
Zunächst zuckte ich noch die Schultern, schien es mir doch plausibel, dass sich im Hause eines greisen und sich rechts anbiedernden CSU-Vorsitzenden eben solches Pack versammelt. Das ist kein Thema für (m)einen politischen Blog, dachte ich... aber eben doch, wenn jedes neue Detail mir Brechreiz verursachte.

  • Wo ein Staatssekretär kommt, muss auch ein Staatssekretär gehen, in diesem Falle sollte es den Herrn  Adler von der SPD treffen und mit Mitte 50 in den vorzeitigen Ruhestand katapultieren. Herr Adler ist ein von allen Seiten hochgeachteter Bauexperte. Solche Leute sind eigentlich nicht unwichtig, wenn man als nächsten Tagesordnungspunkt den Wohn-Gipfel und Mietwucher in Deutschland auf der Agenda hat. Aber Seehofers schützende Hand über seinen IM-Rechtsdreck sticht eben alles.
  • Während der kleine Beamte wegen "Haftbefehl-Veröffentlichung" (zurecht) mit Disziplinarmaßnahmen und Strafverfolgung rechnen darf, wird dem großen Beamten, AfD-Ratgeber und Faschisten-Schützer eine Beförderung um drei Gehaltsstufen und in den zweithöchsten Dienstgrad im Innenministerium als "Strafe" auferlegt.
  • Meine Parteivorsitzende Andrea Nahles trägt diese Entscheidung zunächst mit. Ich habe ein ganz lieben Brief von Ihr bekommen, die GroKo leiste tolle Arbeit und manchmal müsse man eben Kröten schlucken. Ich musste mich spontan übergeben. Ihre Kabinettskollegen aus der SPD standen hinter ihr und verkündeten in der BILD: "Wichtig ist, dass jetzt die Sacharbeit der Koalition wieder in den Mittelpunkt rückt!", und  "Jede Ministerin, jeder Minister hat das Recht, sein engstes Arbeitsumfeld eigenständig zu organisieren." Die erste Aussage von Olaf Scholz ist Zunder für meinen Hass auf die GroKo: Sacharbeit erlaube Rückgratlosigkeit? Ich muss wieder brechen. Und die Aussage von Arbeitsminister Hubertus Heil ist schlicht und ergreifend falsch: WENN das Kabinett die Ernennung eines Staatssekretärs billigen muss, dann ist es eben OFFENSICHTLICH nicht die alleinige Entscheidung eines Ministers, wer diese bedeutenden Posten einnimmt. Wenn die SPD-Minister aber Gewohnheits-Zustimmung zum Leitprinzip machen, zeigen sie erneut die Tragödie der GroKo auf: Nahles knickt gegen die Union ein, die Minister knicken gegen Nahles ein. Der ganze SPD-Schmonz in der Regierung besteht aus wertlosen JA-sagern.
Das Ende der Geschichte ist beinahe versöhnlich.
Die SPD-Landesverbände NRW (mächtig) und Bayern (kurz vor der Landtagswahl) haben der Parteichefin ein Ultimatum gestellt. Hurra. Menschen, Gehirnzellen und Anstand in der SPD, ich bin so glücklich! Die Parteichefin hat das Ultimatum an Merkel und Seehofer weiter gereicht. Nun wird Maaßen immerhin nur Sonderirgendwas im Innenministerium bei gleichbleibenden Bezügen und Baustaatssekretär Adler muss nicht gehen. Danke SPD. Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen.
Die Kanzlerin hat eingestanden, dass man wohl doch zu pragmatisch gedacht und die Empörung über dieses 'wegloben' nicht erwartet habe.
Ehrlich nicht? Das ist wohl das Problem. 
von R. Martensen 14. September 2018

Das Medienecho, als die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ an den Start ging, war für mich geprägt von vier Kernthesen. Diese reflexartige Abwehr sogar aus normaler Weise bildungsnahen Fernsehformaten macht mich etwas stutzig. Entweder bin ich mit Blindheit geschlagen - nicht undenkbar, aber aus meiner Warte natürlich eher unwahrscheinlich – oder es herrscht geballte und vereinende Panik vor linkem Gedankengut in den Köpfen des gesamten Staats- und Medienapparats. Bei Welke und Nuhr undenkbar? Wer weiß…

These 1: ausgerechnet Sahra Wagenknecht erdreiste sich, eine linke Sammlungsbewegung auszurufen, wobei man doch vom LINKE-Partei-internen Streit wisse, dass sie für eine Zuzugsbegrenzung eintrete. Aufstehen sei eine linksnationalistische Sammlungsbewegung, habe ich sogar irgendwo gelesen.

Antwort: erstens gibt es mehr und viel wichtigere Themen in diesem Land als rechts und links die Menschenströme zu betrachten, stattdessen sollte man lieber oben und unten gucken, wer am Monatsende kein Geld übrig hat und wer die Taschen nicht voll genug bekommt. Zweitens ist der Anspruch auf Asyl, die offene Grenze für Verfolgte überhaupt nicht umstritten. Die Trennlinie verläuft zwischen offenen Grenzen und generell offenen Grenzen. Zuzug steuern zu wollen, ist kein rechtes oder rechtspopulistisches oder eben linksnationalistisches Gedankengut sondern Realpolitik. Grüne erkennen vermutlich das Dilemma von damals: ja, Sahra Wagenknecht ist ein Realo. Das macht sie genau nicht zu einer linksnationalistischen Extremistin; das hätten nur einige gerne so dargestellt.

These 2: die Sammlungsbewegung Aufstehen habe nette Ideale aber kein Programm.

Antwort: die Inhalte des Gründungsaufrufes werden in den Medien kaum erwähnt, geschweige denn diskutiert. Bevor man einer in Gründung befindlichen Initiative Orientierungslosigkeit vorwirft, sollte man wenigstens die 4 Seiten gelesen haben. Ich finde das Papier inspirierender als 174 Seiten Koalitionsbrühe, die mir meine Partei im Frühjahr zugemutet hat.

Auszug aus dem Gründungsaufruf:

Unsere Ziele sind:

  • Eine neue Friedenspolitik : Deutschland und Europa müssen unabhängiger von den USA werden. Abrüstung, Entspannung, friedlichen Interessenausgleich und zivile Konfliktverhütung fördern statt Soldaten in mörderische Kriege um Rohstoffe und Macht schicken. Die Bundeswehr als Verteidigungsarmee in eine Europäische Sicherheitsgemeinschaft einbinden, die Ost und West umfasst.
  • Sichere Jobs, gute Löhne, gerechte Steuern und ein erneuerter starker Sozialstaat  in einer innovativen Wirtschaft: Leiharbeit, Missbrauch von Werkverträgen und Scheinselbständigkeit bekämpfen! Die Digitalisierung muss zu einer Umverteilung von Arbeit führen: weniger Stress für alle, statt Arbeitslosigkeit für die einen und Überarbeitung in zunehmend prekären Jobs für die anderen. Anständige Renten statt Riester-Abzocke, eine echte Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, die Lebensleistung schützt, statt Absturz durch Hartz IV. Untere und mittlere Einkommen steuerlich entlasten, große Vermögen und Konzerne stärker heranziehen, den Steuertricks durch Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen den Boden entziehen.
  • Naturverträglich wirtschaften , Ressourcen schonen und die Tier- und Pflanzenwelt schützen: damit wir unseren Kindern eine intakte Natur und ein lebensfreundliches Klima hinterlassen. Saubere Luft und sauberes Wasser, Artenvielfalt und gesunde Böden sind die Basis unserer Lebensqualität.
  • Privatisierungen stoppen und rückgängig machen , Gemeinwohl ist wichtiger als Rendite: Für bezahlbares Wohnen, gut ausgestattete Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Für eine demokratische digitale Infrastruktur statt Enteignung unserer Privatsphäre durch Facebook, Google & Co.
  • Exzellente Bildung für alle:  frühkindliche Bildung und mehr Lehrerinnen und Lehrer für bessere Lebenschancen. Der Bildungserfolg darf keine Frage der Herkunft sein.
  • Demokratie  retten: wir wollen nicht von Konzernen und Banken regiert werden. Direkte Demokratie ermöglichen. Lobbyismus aufdecken und Parteispenden von Unternehmen verbieten.
  • Sicherheit im Alltag:  mehr Personal und bessere Ausstattung von Polizei, Justiz und sozialer Arbeit; ein Strafrecht für Unternehmen statt Kapitulation des Rechtsstaats.
  • Ein europäisches Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien . Die Europäische Union soll Schutz- und Gestaltungsraum sein, aber nicht Katalysator einer marktradikalen Globalisierung und der Aushöhlung von Demokratie. Europäische Politik braucht eine demokratische Legitimation.
  • Hilfe für Menschen in Not:  Das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten, Waffenexporte in Spannungsgebiete stoppen und unfaire Handelspraktiken beenden, Kriegs- und Klimaflüchtlingen helfen, Armut, Hunger und Elendskrankheiten vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven schaffen. Durch eine neue Weltwirtschaftsordnung die Lebenschancen aller Völker auf hohem Niveau und im Einklang mit den Ressourcen angleichen.

Den Vorwurf „naiv“ oder „überambitioniert“ hätte man vielleicht gelten lassen können, jedoch sind das gewissermaßen Leitmotive des linken Gedankenguts. Im Ernst unterstellen die Medien programmatischen Linksnationalismus, der nicht drinsteht und ignorieren alles was tatsächlich aufgeschrieben steht? Na, das finde ich seltsam.

These 3: Oliver Welke, dessen erklärter Fan ich an vielen Freitagen bin, findet immerhin die Themen der Sammlungsbewegung brauchbar, sieht allerdings keine Perspektive, weil die namhaften Unterstützer fehlen.

Antwort: Herr Welke. Nennen Sie mir einen Namen aus der Bundespolitik, bei dessen Engagement für die Initiative Ihnen kein heute-show-Kalauer einfällt. Die etablierten Seilschaften sind das Zielbobjekt und Feindbild der Bewegung. Selbst die dümmsten Inhaber von Posten und Pöstchen wissen, dass sie dieser Pflanze Luft & Licht zum Gedeihen nicht gönnen wollen.

These 4: Dieter Nuhr, der mir ebenfalls wiederholt durch Intelligenz und Charakter aufgefallen war, hatte gestern nur beizutragen, dass der Sozialismus in aller Regel scheitere. Warum Frau Wagenknecht das noch immer nicht verstanden habe. Geschickt schlägt er eine Brücke zum einst von Wagenknecht gelobten Sozialismus in Venezuela, der nun vor dem Ruin steht, und verlacht die Bewegungsnummer als weltfremd.

Antwort: Lieber Herr Nuhr, vielleicht hat Frau Wagenknecht das verstanden. Wenn sie vom Realo-Flügel der LINKEN aus für ein breites politisches Bündnis mit den satten und bürgerlichen Grünen und der dauerkoalierenden Sozialdemokratie wirbt, strebt sie in meinen Augen nicht unmittelbar dem real existierenden Sozialismus in die Arme. Und selbst wenn sie ihn richtig klasse fände, so wirbt sie doch um Partner, die sich Lichtjahre entfernt von ihrer Gesinnung befinden. Ein bisschen Klassenkampf von links täte dem Land bestimmt nicht schlecht.

Die beiden lustigen Männer klingen, als dürfe es links ihres manchmal frechen Vortrages keine Meinung mehr geben. Das, meine Herren, ist unqualifizierte Hybris. Und bedient konservativste Interessen. Etwas Neues? Bloß das nicht! Das wäre ja, als würden wir unsere bequemen Ärsche vom Fernsehsofa erheben… als würden wir… Aufstehen?!